Gohatto/ Tabu auf ARTE um 20:15 Uhr
18.03.10

"Tabu" von Ōshima Nagisa läuft heute auf ARTE.
Dazu "Anime no Tomodachi":
OSHIMA Nagisa führte in den sechziger Jahren die japanische Nouvelle Vague an, er gehörte zur Avantgarde der japanischen Filmschaffenden. Zu den im Westen bekannteren seiner hochgepriesenen wie oftmals kontroversen Werke zählen wohl Im Reich der Sinne (Ai no corrida, 1976), Im Reich der Leidenschaft (Ai no Borei, 1978) und Merry Christmas Mister Lawrence (Furyo, 1983), in dem David Bowie in einer Hauptrolle zu sehen ist.

Nach mehr als 14 Jahren Abstinenz vom Kino, während der er nur einige Fernseharbeiten und eine Dokumentation über die Geschichte des japanischen Kinos gedreht hat, meldet sich Oshima nun mit einem Film über homosexuelle Liebe unter Samurai zurück. Bei Gohatto, was auf Deutsch soviel heißt wie Tabu, handelt es sich um die Verfilmung eines Romans von SHIBA Ryotaro.

Kyoto im Jahre 1865. Die Shinsen-gumi-Miliz rekrutiert junge Männer zur Aufstockung der Truppen. Deren Aufgabe wird es sein, das Shogunat zu stützen, denn das Land befindet sich in einer Phase des Umbruchs, die alte Ordnung wird sowohl vom Einfluß westlicher Mächte bedroht, gegen die sich das alte Japan abzuschotten versucht, als auch durch innere Machtkämpfe und Kräfteverschiebungen. Was das japanische Publikum weiß: Wenige Jahre nach dem Zeitpunkt der Geschehnisse im Film sollten das Shogunat wie die Kaste der Samurai entmachtet, sämtliche Mitglieder der Miliz exekutiert werden, worauf die Öffnung und Modernisierung Japans folgte.

Doch diese zukünftigen Ereignisse werfen noch keinen Schatten des Untergangs auf die Geschichte von Gohatto. Der Neuankömmling KANO Sozaburo (MATSUDA Ryuhei gibt hier sein Leinwanddebüt), ein erst 18-jähriger Jüngling, bringt Aufregung in die Männergesellschaft. Denn mit seiner androgynen Schönheit verwirrt er die Gefühle und weckt Begierden. Der Unerfahrene kann sich den Avancen und Umwerbungen anderer Truppenmitglieder und auch Vorgesetzter kaum erwehren. Schon allein optisch sticht er heraus, ganz in blütenweiß gekleidet inmitten der schwarzen Gewänder der anderen Truppenangehörigen.
Als Kano ausgewählt wird, als Mutprobe eine Exekution durchzuführen, bewältigt er die Aufgabe – zum Erstaunen aller, da im vermeintlichen Gegensatz zu seiner äußeren Erscheinung – ohne mit der Wimper zu zucken.

KITANO Takeshi spielt HIJIKATA Toshiro, einen Leutnant, der die Szenerie, die sich seinen Augen bietet, eher beobachtet als aktiv an den Geschehnissen teilzunehmen. Stellenweise übernimmt der Film seine Perspektive und man erhält Einblick in seine Gedanken, Ansichten und Kommentare zum Verhalten der Truppenmitglieder.
Doch Sozaburos überirdische Schönheit und die Faszination, die er auf andere ausübt, gefährden mehr und mehr den inneren Zusammenhalt der durch Ehrenkodex, Kameradschaft und Blutzoll zusammengeschweißten Männergemeinschaft. Die Spannung entlädt sich in Gewaltausbrüchen, es kommt zu zunächst ungeklärten Mordfällen.

Oshima widmet sich wieder einmal seinem Lieblingsthema, der Macht der Sexualität, den zerstörerischen Kräften irrationaler Leidenschaften, welche Menschen steuern und sie dazu bewegen, die für das Zusammenleben im Konsens aufgestellten gesellschaftlichen Spielregeln zu brechen und moralische Verhaltensnormen zu überschreiten. Sexualität und Tod verbinden sich bei ihm.
Doch Oshima inszeniert diese dramatisch klingende Handlung sehr entspannt, distanziert von den Figuren und mit Humor – wobei die Charakterkomik dem westlichen Zuschauer oft entgeht.

Der Film wirkt streng durchkomponiert – jede Einstellung hat die Schönheit eines Gemäldes. In Gebäuden dominieren rot-braune Töne, welche die Protagonisten in ein sanftes Licht hüllen und die Atmosphäre der Homoerotik verstärken – der Regisseur kann sich reale sexuelle Szenen größtenteils schenken. Unterstrichen werden die ästhetischen Bildkompositionen durch eine geniale musikalische Untermalung von SAKAMOTO Ryuichi, welche die Harmonien traditioneller japanischer Musik mit der Klangvielfalt synthetisch erzeugter Musik vereint. Sie ist genau auf die Stimmungswechsel der Bilder, wie Lichtwechsel oder Gestiken der Figuren, abgestimmt.
Den Höhepunkt findet der Film in der furiosen Schlußszene, die sich vor dem Hintergrund eines Gewittereinbruchs in einer nächtlichen Moorlandschaft entrollt.

Die große Schwäche dieses Werks ist aber die Undurchsichtigkeit des Innenlebens der Figuren. Die Logik ihrer Emotionen und Motivationen ihrer Handlungen sind manchmal so unergründlich, als trügen sie Masken. Dadurch verweigern sie einem jegliches Einfühlungsvermögen, was dazu führt, dass der Film sehr unterkühlt wirkt. Dieses Problem liegt nicht nur in der Unkenntnis östlicher Umgangsformen des westlichen Betrachters.

In der Schweiz ist Gohatto bereits Mitte Mai 2001 in den Kinos angelaufen, für Deutschland scheint sich bisher kein Verleih gefunden zu haben. Falls Gohatto nicht mehr in die deutschen Kinos kommen sollte, bleibt ein Trost: Da der Film eine französische Koproduktion ist (finanziert u. a. von Canal+) und er in Frankreich auch auf mehr Aufmerksamkeit gestoßen ist als in der Schweiz, ist es recht wahrscheinlich, dass er früher oder später auf Arte ausgestrahlt werden wird. Wem dies zu unsicher ist oder einfach nicht solange warten will: Die japanische DVD ist kürzlich erschienen und enthält sogar englische Untertitel.


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