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Japans Hieroglyphen

Sicher ist es ungewöhnlich, eine Buchkritik über ein Zeichenlehrwerk zu schreiben. Man gibt von Lexika an, ob ihr Aufbau sinnvoll und von Schulbüchern, ob ihre Pädagogik motivierend ist, aber das Buch, von dem ich schreiben möchte, ist weder Nachschlagewerk noch Übungsbuch. Es handelt sich um Langenscheidts «Japanische Schriftzeichen», ein schmales Verzeichnis von der Entstehung dreihundert der wichtigsten Kanji. Doch trotz des geringen Umfangs erfordert das Buch nicht nur Zeit, sondern auch Geduld und natürlich vor allem das Interesse des Lesers.

Die Kanji - zu Deutsch «chinesische Zeichen» -, die in Japan benutzt werden, haben eine lange Entstehunggeschichte. Sie sind über dreitausend Jahre alt und wurden vor cirka 1500 Jahren von den Japanern, die zu dieser Zeit keine eigene Schrift besaßen, übernommen. Es sind Piktogramme, das heißt, sie geben nicht den Laut eines Wortes vor, sondern dessen Bedeutung. So kommt es, daß man beispielsweise das Kanji für Abend im Japanischen in zwei Lesarten sprechen kann; in einer abgewandelten chinesischen, und in einer japanischen Lesart. Sprechen Chinesen das gleiche Zeichen, so klingt es wieder anders und so ist es in jedem Land, in dem die chinesischen Zeichen verwendet werden. Liest ein Japaner in einer vietnamesischen Zeitung, so wird er einige Zeichen erkennen und wissen, was sie bedeuten. Aber trotzdem wird er sie - es sei denn natürlich, er ist des Vietnamesischen mächtig - nicht aussprechen können.

Das macht die Sache kompliziert. Um so schöner ist es dabei, wenn man ein Buch hat, das einem die Grundelemente der Kanji erklärt, so daß man sich mit etwas Übung ihre Bedeutung oftmals erschließen kann. Denn alle Schriftzeichen bestehen aus sogenannten Schlüsseln; Grundzeichen, die einen logischen historischen Ursprung haben. So setzt sich zum Beispiel das Zeichen für «Liebe» oder «Güte» aus den Schlüsseln für Frau und Kind zusammen. Die einfachen Zeichen, die die Chinesen für komplexe Begriffe verwendet haben, geben einen guten Einblick in das Denken in China vor über dreitausend Jahren. Aber auch heute noch ist für jeden leicht zu verstehen, warum sich das Zeichen für «Wasserfall» aus den Schlüsseln für «Wasser» und «Drache» zusammensetzt. Und man lächelt, wenn man liest, daß das Zeichen für Lernen eine Abbildung zweier Hände ist, die «Wissen» (dargestellt durch zwei Kreuze) in den Kopf eines Kindes legen. Und genau das ist es, was das Buch auch für diejenigen lesenswert macht, die zwar nicht so sehr an der japanischen Sprache, jedoch an der geschichtlichen Entwicklung Chinas (bzw. später Japans) interessiert sind.

Len Walsh, der Autor, hat seine Schrift unterteilt in eine kurze, leicht verständliche Einleitung in die japanische Schrift, in den Hauptteil mit den Zeichenerklärungen und stellt auch eine Übersicht über die beiden Kana- Silbensysteme sowie ein Register zu allen im Buch behandelten Worten zur Verfügung. Der Hauptteil wiederum ist gegliedert in die verschiedenen Bereiche, aus denen die jeweiligen Zeichen stammen. Und schon die Titel der einzelnen Abschnitte erlauben eine Vermutung über die Zeit, aus der die Zeichen stammen. Den weitaus größten Teil macht der Bereich der Natur aus, dann folgen der Mensch, und - wie sollte es anders sein - Geld und Waffen. Zu allen Zeichen wird also die Herkunft, die Aussprache, und auch die Anwendung in verschiedenen, zusammengesetzten Wörtern angegeben. Viele Zeichen hat Walsh mit Photos aus dem Alltag leichter verständlich und einprägsam gemacht. Doch kann man von einem Buch, daß dreihundert Zeichen nach dem gleichen, durchaus sinnvollen Prinzip erklärt, keinen Abwechslungsreichtum in der Wahl der Worte erwarten. So spannend die inhaltliche Erklärung der Zeichen ist, so einförmig ist die Darstellung. Das ist jedoch der Sache entsprechend und kein Punkt, der das Lesevergnügen schmälert. Denn es ist ohnehin kaum möglich, es in einem Zug zu lesen, wenn man etwas davon im Gedächtnis behalten möchte. Insgesamt betrachtet ist «Japanische Schriftzeichen» also ein gelungenes Buch, sowohl für Geschichts- als auch Sprachinteressierte, und für Japanfreunde unabdingbar.


Len Walsh:
Langenscheidts Expresskurs. Japanische Schriftzeichen
Langenscheidt
ISBN: 3468271905

Preis: EUR 17,84 (DM 34,90)


© Nora

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