Beitrag #9 
RE: -=ICHI THE KILLER=- 
			 
			
				Typisch japanischer Film? 
 
Wir sprechen hier ja an dieser Stelle ueber das "junge, moderne" japanische Kino. Hier glaube ich im Action- und Horrorbreich besonders zwei gegensaetzliche Merkmale auszumachen: 
 
1. Die Spannung bzw. der Grusel findet nur durch die Story und/oder die Atmosphaere statt. Es fliesst kein Tropfen Blut! Es werden v.a. nur die Aengste der Zuschauer angesprochen wie z.B. bei Ringu oder Ju-On. Diese Filme sind fuer mich ebenso typisch japanisch wie die folgenden:  
 
2. Gewalt ist absoluter Selbstzweck, oft zweck- und humorfrei dargestellt. Humorfrei? Viele Horrorfans sagen ja z.B. den Italo-Splattern der 80er Jahre (unfreiwilligen) Humor nach. Die japanischen Filme dagegen, die ich meine, haben keinen Humorfaktor, sie sind einfach nur nihilistisch. "Kranke Scheisse" ist mein Ausdruck fuer diese japanischen Metzel- und Folterfilme (oft muessen Frauen daran glauben). Name oder Titel nenne ich hier keine, denn die Kids in diesem Forum sollten nicht mit der Nase darauf gestossen werden... 
 
Ichi the Killer habe ich noch nicht gesehen, aber es ist inzwischen so bekannt und der Regisseur so kultig, dass ich irgendwann diese Bildungsluecke schliessen will!  Von Takashi Miike habe noch gar nichts gesehen und seinen bekanntesten Film  "Audition" werde ich mir auch nie ansehen! 
Wie heisst es so schoen: Ueber Geschmack laesst sich NICHT streiten! 
 
In einem anderen Forum hatte ich schon mal diesen Spiegel-Artikel von 2003 ueber den Regisseur gepostet: 
 
Über die Auswahlkriterien des Cannes Filmfestivals lässt sich viel und gerne  
streiten. Aber dass in diesem Jahr eine billige japanische Videoproduktion  
in der "Quinzaine des Réalisateurs" lief, scheint sich jeglicher Logik zu  
entziehen. Nur Eingeweihte sehen das anders. Denn der Regisseur von "Gozu" trägt  
einen Namen, der in bestimmten Publikumskreisen einen kultischen Nimbus  
besitzt: Takashi Miike. Wenn sein Werk jetzt als Eröffnungsfilm der "Focus  
Asia"-Reihe beim Fantasy Filmfestival in Hamburg gezeigt wird, dann sind  
ausverkaufte Vorstellungen fast sicher. Denn wenn der Schlaf der Vernunft Monster  
gebiert, dann ist der Regisseur einer der unvernünftigsten Menschen des Planeten.  
Seine Hölle wird regiert vom Geist des Absurden - wie in einem Joint Venture  
von Hieronymus Bosch, David Cronenberg und den Marx Brothers.  
 
Filme wie "Ichi the Killer" werden regiert von derbster Splatter-Ästhetik:  
Fontänen aus Blut, Ekel erregende Folterungen in Großaufnahme. Doch hinter  
diesem Panoptikum der Perversionen steckt eine anarchische Fantasie. In "City of  
Lost Souls" wird eine Gewaltszene aus einer mit Exkrementen gefüllten  
Toilette gefilmt, das Schlussduell in "Dead or Alive" eskaliert zu einem Showdown  
von kosmischen Ausmaßen. In "Gozu" begegnet man zermalmten Chihuahua-Hündchen  
und kuhköpfigen Dämonen.  
 
Das "Time Magazine" ließ sich trotzdem nicht abschrecken, Miike 1998 unter  
die Top Ten der wichtigsten Nicht-Hollywood-Regisseure zu berufen. Und es gibt  
Argumente, die diesen Status rechtfertigen. Selbst in weniger gelungenen  
Filmen - und davon gibt es etliche - verblüfft Miikes Wundertüte an Bizarrerien.  
Aber wenn der 43-Jährige seine Talente konzentriert, anstatt damit wild zu  
wuchern, dann können Meisterwerke daraus entstehen. Einer der Höhepunkte  
seines Werks ist "Audition" nach dem Roman von Ryu Murakami, eine exquisit  
durchkomponierte Geschichte über eine fatale Beziehung, die Liebesfilm,  
Horrorthriller und Parabel über den japanischen Machismo zugleich ist. Der raffinierte  
Handlungsaufbau, der präzise Rhythmus und die betörende Fotografie von Takeshi  
Kitano-Kameramann Hideo Yamamoto sorgen für eine sogartige Wirkung, die den  
Zuschauer in einen beinah unerträglichen Alptraum verstrickt. 1999, im  
gleichen Jahr wie "Audition", entstand die furiose Action-Ode "Dead or Alive", gegen  
die die Kapriolen des Hongkong-Kinos nur noch brav und tapsig wirkten.  
 
Doch so absurd wie die Miikes Fantasien sind auch die Entstehungsbedingungen  
seiner Filme. In Zeiten, wo Filmemacher nur noch alle drei Jahre ein Werk  
abliefern, schafft Miike mindestens fünf - pro Jahr. Denn sein  
Selbstverständnis ist anders. Während seine Kollegen ihre individuellen Präferenzen  
kultivieren, kurbelt er ein Auftragswerk nach dem anderen herunter: Videoproduktionen,  
Fernsehfilme, Comic-Adaptionen, sogar Softpornos. "Ich lehne kein Angebot  
ab", gibt er selbst zu. "Denn jedes Projekt gibt mir die Chance, mich zu  
verändern. Jedes Mal entdecke ich mich neu." Und der atemlose Arbeitstakt trägt  
ganz offenbar dazu bei, seinen kreativen Motor am Laufen zu halten: "Dieser  
Druck ist motivierend."  
 
Ein großes Künstler-Ego hat Takashi Miike nie entwickelt. Als Teenager ohne  
große Zukunftsperspektiven schrieb er sich an der Akademie für visuelle  
Künste in Yokohama ein, weil es dort keine Aufnahmeprüfung gab. Bis dahin waren  
Bruce Lee-Filme sein einziges prägendes Kinoerlebnis gewesen. Regisseur Shohei  
Imamura, Gründer der Akademie, beschäftigte ihn als Regieassistenten und  
brachte ihm die Grundbegriffe des Handwerks bei. Im nahtlosen Übergang begann  
Miike als Regisseur für Low-Budget-Videoproduktionen. Und im Endeffekt blieb er  
das auch. Anders wäre seine erstaunliche Produktivität nicht denkbar. Einen  
Film wie "Visitor Q" drehte er innerhalb einer Woche für ein Budget von  
umgerechnet 70.000 Dollar. Leider ist das vielen seiner Werke auch anzumerken. Die  
Drehbücher sind dramaturgisch schlampig und konfus, die Inszenierung wirkt  
phasenweise heruntergenudelt, Spezialeffekte sind auf billigstem Niveau. Auf  
eine Verdichtung im Schnitt wird häufig verzichtet - weshalb die meisten Filme  
über zwei Stunden lang sind. So oszilliert Miikes Oeuvre weitgehend zwischen  
Pfusch und Genialität.  
 
 
Trotzdem möchte er seine finanziellen Einschränkungen nicht missen: "In  
Japan klagen alle, dass das Publikum nicht ins Kino geht und wir deshalb kein  
Geld fürs Filmemachen haben. Wir sollten positiv denken: Wenn die Zuschauer  
sowieso nicht kommen, dann können wir doch jeden Film drehen, den wir wollen. So  
können wirklich gewagte Dinge entstehen." Dass das westliche Publikum ihn  
entdeckte, war eher ein Zufall. 1996 drehte er die Videoproduktion "Fudoh: The  
New Generation", die vom Verleih spontan in die Kinos geschoben wurde und dann  
auf dem Film Festival von Toronto landete.  
 
In Deutschland ist Miike bislang ein Insiderphänomen. Von einigen seiner  
Filme gibt es einzelne Kopien, die mitunter in Raritäten-Kinos auftauchen.  
Ansonsten ist die Gemeinde auf DVD-Veröffentlichungen angewiesen. Sein nächstes  
Projekt könnte indes für mehr Aufsehen sorgen: In seinem Samurai-Film "Izo"  
spielt Takeshi Kitano die Hauptrolle. Und vier Wochen Drehzeit lassen auf eine  
für seine Verhältnisse aufwendige Produktion schließen. Andererseits:  
Vielleicht ist der Randguppen-Status für Miike sogar ganz gut. So sehr er die  
internationale Anerkennung zu schätzen weiß, auf deren finanzielle Konsequenzen kann er gut verzichten: "Wenn ich mehr Freiheit oder Geld bekäme, wäre das nur  
frustrierend."  
 
Quelle: Spiegel Online
			 
			
			
			
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