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Lesemethoden von Büchern
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Hellstorm


Beiträge: 3.925
Beitrag #21
RE: Lesemethoden von Büchern
Das Problem in eurer Argumentation ist meiner Meinung nach allerdings, dass man das Wort im Kopf präsent haben muss, wenn es wieder auftaucht.

Es mag ja sein, dass es sich irgendwann aus dem Kontext ergibt (auch wenn ich das nicht glaube). Allerdings muss man dafür folgendes wissen: „Ah, dieses Wort kam schon einmal vor 10 Seiten in jenem Kontext vor. An dieser Stelle hier ist es allerdings dieser Kontext. Daraus kann ich schlussfolgern, dass es ... bedeutet“.

Das tritt natürlich auch auf, besonders wenn es einprägsame Vokabeln sind. Im weitaus häufigeren Falle würde ich aber argumentieren, dass man das Wort schon nach der ersten Begegnung wieder vollkommen vergisst, gerade weil man die Bedeutung nicht kennt. Das führt dazu, dass praktisch jedes Aufeinandertreffen mit dem Wort wieder eine völlig neue Begegnung ist. Man startet also jedes Mal wieder bei Null.

Und das ist ja jetzt nur der Fall bei Wörtern, die sich möglicherweise wirklich aus dem Kontext ergeben können. Im weitaus häufigeren Fall ist es doch eher so, dass der Kontext keine klare Bedeutung liefert.

Und ich finde, gerade seltene Worte sind auch wichtig. In vielen Fällen beinhalten sie die Kernaussage des Satzes (z.B. „he suffered from obesity“ - Hier ist obesity der eigentliche Grund, wieso der Satz so überhaupt existiert) oder aber sie bilden durch eine Beschreibung der Situation überhaupt erst den Rahmenwerk der Szene. Es gibt eben einen Unterschied zwischen „Der Mann ging ins Haus“ und „Der Mann ging in ein vermodertes Haus, welches seine besten Zeiten schon hinter sich hatte und im nächsten Moment einzustürzen drohte“. Der zweite Satz bietet für die Haupthandlung selber keine wichtigen Informationen, aber man liest einen Text doch nicht nur der Haupthandlung wegen. Man möchte seine Fantasie nutzen. Und das geht meiner Meinung nach nur vernünftig, wenn man die Wörter wirklich vernünftig versteht. Und dafür muss man sie im Wörterbuch nachschlagen, um schnell und prägnant ihre Bedeutung herauszufinden.

やられてなくてもやり返す!八つ当たりだ!
21.06.13 23:33
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Nia


Beiträge: 3.793
Beitrag #22
RE: Lesemethoden von Büchern
Wenn ich auf englisch lese, schaue ich nicht jedes Wort nach, dass ich nicht kenne. Das würde mich zu sehr im Lesefluss stören.
Wenn mich aber ein Wort nervt und ich wissen will, was da genau steht, ja dann wird recherchiert. Oder eben wenn mir dieses Wort so interessant erscheint, dass ichs wissen will.

Ich denke im Grunde geht es hier darum, welches Ziel der Leser verfolgt.

a.) Ich will lesen.
b.) Ich will zwar lesen, aber ich will auch komplett alles lernen/begreifen was da steht.

Klar, natürlich verpasst man mal was, wenn man nach a) vorgeht. - Aber man verpasst auch etwas, wenn man nach b) vorgeht. Der Lesefluss kann sehr beeinträchtigt werden, wenn ich wirklich jeden Satz prüfen muss, ob ich jedes einzelne Wort komplett übersetzen kann.

Geschmackssache. zwinker

[edit]

@Woa: Laut lesen kommt durchaus vor bei mir. Gar nicht so selten, eigentlich.
Was ist shadowing?
Ich kann mir da im Bezug auf Lesen keinen Reim drauf machen.

“A poet is a musician who can't sing.”
― Patrick Rothfuss, The Name of the Wind
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 21.06.13 23:43 von Nia.)
21.06.13 23:39
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Leo Nemeaeus
Inaktiv

Beiträge: 75
Beitrag #23
RE: Lesemethoden von Büchern
Ich finde deine Einwände interessant. Du scheinst die Fähigkeiten des Hirns da reichlich limitiert zu konzeptualisieren; nach meiner Erfahrung erinnere ich mich in der Tat daran, irgendwann klingelt es. Ich glaube, du denkst "präsent halten" viel zu bewusst. Natürlich hat man nicht eine Liste im Kopf unter den Rubrum "Wörter, deren endgültige Klärung noch aussteht", aber es klingt nach, wenn es schon bekannt ist; die Verknüpfungen kommen ganz von selbst. Deswegen finde ich auch die Reduktion auf "bei Null" auf die gleiche Weise als zu total geschildert wie die Unmöglichkeit, Kontextualisiertes zu erschließen.

Aber ich bin neugierig, wie es im Einzelfall ist. Daher werde ich beim nächsten Schwung englischer Lektüre ein wenig Buch führen und beobachten.

Die Abhängigkeit von der Zielsetzung (relativ zur vermeintlich intrinsischen Abhängigkeit der Methode von sich selbst an sich), die Nia ins Feld führt, ist ja genau das, was ich versucht hatte, in den Syntheseteil meiner letzten Antwort zu packen.

Nemeaeus.
22.06.13 03:20
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Woa de Lodela


Beiträge: 1.539
Beitrag #24
RE: Lesemethoden von Büchern
Ich sehe das genau wie Hellstorm. Ich habe auch lange Jahre Englisch gelesen ohne nachzuschlagen, und bei ehrlicher Reflexion ist mein Wortschatz eben doch nicht so groß gewesen. Seitdem ich alles nachschlage, hat er sich stark erweitert, und das sehr schnell.

Das Problem ist aber m.E. vor allem das "Überlesen", d.h., dass man unbekannte Wörter ja nicht im Kopf behält (höchstens ein paar), sondern einfach ignoriert. Nicht gerade förderlich, wenn es einem gerade um das Erweitern des Wortschatzes geht. Da gibt es schnellere, effektivere Methoden als einfach zu lesen und abzuwarten, bis sich der Sinn irgendwann erschließt.

Es sind ja auch gerade die Wörter, die gar nicht so häufig vorkommen, die man nicht kennt. Den Grundwortschatz und somit die allermeisten Wörter kennt man ja. Ein Wort wie cantankerous kommt in einem Buch vielleicht nur einmal vor.

(Viele englische Wörter versteht aber auch, wenn man Französisch sehr gut kann oder eine andere romanische Sprache (oder Latein), da es viele Kognate gibt.)

Niemand sagt, man müsse immer alles nachschauen. Bei Japanisch kann man es ja so machen, dass man tägl. eine gewisse Zeit liest und dabei alles nachschaut, ansonsten aber frei liest ohne nachzuschlagen. Es muss ja nicht immer alles zum Zwang werden. zwinker

@Nia: Shadowing bedeutet, dass man sich eine Aufnahme anhört und dann fast zeitgleich mitspricht, man folgt der Stimme wie ein Schatten (daher shadowing). Das ist schwierig.

Ach so, ich habe noch etwas vergessen: Wörter aus dem Kontext zu erschließen ist im Japanischen noch viieeeel schwieriger. Die Sprache ist einfach komplett anders, nicht vergleichbar mit unseren europäischen Sprachen, die alle miteinander verwandt sind und deren darunterliegende Konzepte mehr oder weniger deckungsgleich sind. Das gilt nicht für exotische Sprachen.
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 22.06.13 07:50 von Woa de Lodela.)
22.06.13 07:38
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Leo Nemeaeus
Inaktiv

Beiträge: 75
Beitrag #25
RE: Lesemethoden von Büchern
Die nächste Lektüre ist noch etwas hin, zunächst muss mal der http://www.guardian.co.uk/uk/2013/jun/21...ations-nsa Guardianartikel taugen als Illustration.
Ich kannte "to tap" nicht und "to sift" und "it is sb.'s call" und "dragnet" nicht. "To tap" ist übers Substantiv "tap" schnell geklärt (taucht aber noch mal auf als "to tap into") und "sift" hat sich beim ersten Auftreten in "One key innovation has been GCHQ's ability to tap into and store huge volumes of data drawn from fibre-optic cables for up to 30 days so that it can be sifted and analysed. " gleich geoutet als "logischer Vorschritt vor der eigentlichen Auswertung, also irgendeine Form des sortierten Aufbereitens, an dessen Ende eine Materialanordnung nach irgendeinem Gesichtspunkt steht. Kommt aber noch mal vor als "to sift through" und als "to sift for" vor; späterhin wird im sonst deckungsgleichen Kontext von "to filter" gesprochen. Folglich ist es "sieben".
Das "it is sb's call" in "When it came to judging the necessity and proportionality of what they were allowed to look for, would-be American users were told it was "your call"." muss zwangsläufig ein saloppes "es liegt in jd.es Ermessen" bedeuten.
"dragnet" zerlegt sich von selbst, passt aber auch in zerlegter Form brav in den Kontext.

Das soll kein pseudo-triumphales Vorführgeheule sein, à la "Seht her, wie Unrecht ihr habt", sondern ein neutraler Zwischenbericht, wie es bei einem Massenzeitungsartikel aussehen kann. Ich bin auf das nächste tatsächliche Buch sehr gespannt, am nächsten Badetag.

Das Caveat Woas für exotische Sprachen leuchtet ein, sollte aber ebenfalls bei einem (dann entsprechend) höheren Schwellenwert kippen.

Denke, der wichtigste Satz bei Woa ist "Nicht gerade förderlich, wenn es einem gerade um das Erweitern des Wortschatzes geht. Da gibt es schnellere, effektivere Methoden als [...]". Zielsetzungsfrage also. Mir geht es da ums Lesen, und das Lernen kommt von selbst. Wenn es ums Lernen geht, kommt das Lesen nicht von selbst. Drum entscheide ich mich für Variante eins, sonst liest man nämlich nie wirklich im qualifizierten Sinne von "einem Text nachspüren" (außer man liest etwas dezidiert erneut unter der Prämisse, diesmal sich auf sein zuvor Nachgeschlagenes verlassen zu wollen).

Ich verstehe auch, dass das Argument nicht ist, dass man schlechterdings alles nachschlagen müssen; es geht mir nur insgesamt zu sehr in Richtung "ich möchte da nicht locker lassen", welcher Richtung ich ein "ab einem gewissen Grenzwert kann man die Beine baumeln lassen" entgegenhalten möchte.

Ich hab auch ewig oft "gilded" und "gelded" verwechselt, kommt mit der Zeit rsp. verschwindet mit ihr. Ich finde diese Idee von "Ich muss auf Habacht sein" unangenehm.

Nemeaeus.
22.06.13 19:42
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Nia


Beiträge: 3.793
Beitrag #26
RE: Lesemethoden von Büchern
Da Leo hier ja so schön ein Beispiel schildert, will ich auch mal. zwinker

Ich habe ja geschrieben, dass ich, wenn ich englische Bücher lese, oftmals kaum nachschlage. Dort ist die Zielsetzung bei mir eben eindeutig 'Lesen' oder mit dem gelesenen lernen. Nicht englisch zu lernen. Klar, wenns sich bessert, nehme ich das gerne mit. grins
Aber es ist nicht der Grund warum ich englisch lese.

Hier nun mein aktuelles Beispiel: Ich habe mein kleines Büchlein 'The Moonprinces' (biligual classes) herausgekramt und gehe es inzwischen mal an. (Ist in hiragana bzw. englisch)
Da mein japanisch noch sehr schlecht ist, muss ich um es zu verstehen, sehr viel unbekanntes recherchieren.

Ich versuche die Sätze so gut ich es vermag, ins deutsche zu übersetzen. Unbekanntes wird recherchiert und dann so gut wie möglich arangiert.
Vokabeln kommen unten drunter in eine Auflistung, und Dinge die ich nicht vernünftig recherchieren konnte, werden mit Fragestellung, zur späteren Klärung aufgenommen.

Hier ist die Zielsetzung:
1) japanisch lernen
2) Das ich japanische Sagen/Märchen interessant finde, und davon gerne mehr kennen würde, steht erst an zweiter Stelle.

“A poet is a musician who can't sing.”
― Patrick Rothfuss, The Name of the Wind
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 23.06.13 14:46 von Nia.)
23.06.13 14:44
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Woa de Lodela


Beiträge: 1.539
Beitrag #27
RE: Lesemethoden von Büchern
(22.06.13 19:42)Leo Nemeaeus schrieb:  Die nächste Lektüre ist noch etwas hin, zunächst muss mal der http://www.guardian.co.uk/uk/2013/jun/21...ations-nsa Guardianartikel taugen als Illustration.
Ich kannte "to tap" nicht und "to sift" und "it is sb.'s call" und "dragnet" nicht. "To tap" ist übers Substantiv "tap" schnell geklärt (taucht aber noch mal auf als "to tap into") und "sift" hat sich beim ersten Auftreten in "One key innovation has been GCHQ's ability to tap into and store huge volumes of data drawn from fibre-optic cables for up to 30 days so that it can be sifted and analysed. " gleich geoutet als "logischer Vorschritt vor der eigentlichen Auswertung, also irgendeine Form des sortierten Aufbereitens, an dessen Ende eine Materialanordnung nach irgendeinem Gesichtspunkt steht. Kommt aber noch mal vor als "to sift through" und als "to sift for" vor; späterhin wird im sonst deckungsgleichen Kontext von "to filter" gesprochen. Folglich ist es "sieben".
Das "it is sb's call" in "When it came to judging the necessity and proportionality of what they were allowed to look for, would-be American users were told it was "your call"." muss zwangsläufig ein saloppes "es liegt in jd.es Ermessen" bedeuten.
"dragnet" zerlegt sich von selbst, passt aber auch in zerlegter Form brav in den Kontext.


Wenn man von 548 Wörtern nur drei nicht kennt, kann man auch ohne nachschlagen gut lesen und aus dem Kontext verstehen*. Die Grenze liegt so bei 98%.

*Aber auch nicht immer, ich schlage lieber nach und bin ganz sicher. Mich interessiert das allerdings auch total.
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 23.06.13 17:56 von Woa de Lodela.)
23.06.13 17:56
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Leo Nemeaeus
Inaktiv

Beiträge: 75
Beitrag #28
RE: Lesemethoden von Büchern
Ein rein sprachwissenschaftliches (bzw. von mir aus auch linguistisches Interesse, also mit diesen Abarten wie Sozio- und wie hieß das andere Ding? Ah, Psycho-, genau, also auch in diesen neueren weiteren eigentümlichen Spielarten) kann ich natürlich sehr gut nachvollziehen, und es ist mir auch sympathisch.

Wenn wir uns auf einen Grenzwert geeinigt haben, ab dem die schiere Möglichkeit besteht, die Nachschlagerei zu lassen (und dennoch einen gerade nicht unerheblichen Lernfortschritt zu erzielen), herrscht ja auch breite Einigkeit; dass man die Möglichkeit nicht zur Realität befördern muss, ist ja unbenommen. - Ich hatte bislang den Eindruck, dass die Möglichkeit des Lernens unter dieser Konstellation schlechthin in Abrede gestellt worden sei. Nun, solange es also nur um Nuancierungen geht à la "es geht aber mit Blick auf den Spracherwerb zu leichten Teilen zügiger voran, als wenn man es aussitzt", herrscht kein Dissens.

Nemeaeus.
23.06.13 20:33
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junti


Beiträge: 1.565
Beitrag #29
RE: Lesemethoden von Büchern
Uebrigens sprechen wir hier ueber Japan. Ich empfehle jedem, der gewisse Probleme mit dem Erkennen von Woertern aus dem Kontext hat sich mal (am besten mit Shounen-)Mangas anzufreunden grins
Eine riesige Gruppe Literatur aus Japan, mit Furigana, und anhand von Bild + Text + Inhalt extrem gut zum lernen, in meinen Augen.
23.06.13 23:07
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Leo Nemeaeus
Inaktiv

Beiträge: 75
Beitrag #30
RE: Lesemethoden von Büchern
Na ja, ich verstehe Woa schon so, dass nur dann von umfassender Literatur(er)kenntnis und Sprachmacht gesprochen werden könne, wenn man auch in der Tat in der Lage sei, ein gewisses nicht zu schmal gewähltes Spektrum abzudecken; dass ein Teilbereich des pro Sprache jeweils Geschriebenen möglicherweise dem Erschließungsvorgang leichter zugänglich ist, ist wahrscheinlich gar kein Japanischspezifikum, sondern allgemeiner Streuungseffekt, wie er überall auftreten dürfte. Das sind natürlich alles nur Mutmaßungen. Wenn ich jemals mit meiner Krähengeschichte durch bin, kann ich ja mal in so einen Bildband schauen, aber was Seriöseres wär mir durchaus Recht als so eine typische 少年-Geschichte. Reicht mir eigentlich schon, dass ich für die Schulung des Hörverstehens haufenweise mäßige Animes gucken muss. Die sind wenigstens in Teilen (Musik, Bildkomposition, Licht, Schnitt) ansprechend, aber nicht zwingend anspruchsvoll. Bisschen schade.

Nemeaeus.
24.06.13 13:10
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Lesemethoden von Büchern
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