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"Linguistischer Ansatz" beim Lernen des Japanischen sinnvoll?
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Arufuredo


Beiträge: 77
Beitrag #11
RE: "Linguistischer Ansatz" beim Lernen des Japanischen sinnvoll?
Wenn Babys Japanisch "lernen", dann findet das auf gänzlich andere Weise als beim jugendlichen oder erwachsenen Menschen statt. Für die ist das am Anfang genauso ein Kauderwelsch wie für uns ältere. Nur haben Babys den Riesenvorteil, noch nicht "verbildet" zu sein, also nicht schon ein vorgeprägtes Bild von der Welt haben. Dadurch haben sie auch keine Möglichkeit, Analogien zu bilden und zu versuchen, den Lernaufwand durch Analogienbildung zu reduzieren. Deshalb gibt es beispielsweise auch nicht gedankliche Abhängigkeiten wie dass man als Deutscher versucht, Eselsbrücken zu japanischen Worten zu finden aufgrund vager lautähnlicher Merkmale in deutschen Worten, wobei einen dann dieser bewusste Denkakt vom eigentlichen Sprechen abhält und man zunächst mal sein Japanisch mehr oder weniger erbricht. Babys und Kinder "lernen" die Sprache, indem sie anfangs schlicht imitieren, sonst nichts. Irgendwann macht es bei bestimmten Worten oder Bezeichnungen ein semantisches "Klick", und die Verbindung zwischen Wort und Bezeichnetem ist verstanden worden. Durch imitieren von Wortreihenfolgen und immer wiederkehrenden Kombinationen im Zusammenhang mit Aktionen oder Orten führt dann dazu, dass das Kind sich ein sprachliches/lautliches Bild seiner Umgebung macht und auch selbst Äußerungen und Willensbekundungen artikulieren kann. Ich denke, dass es nichts lernfähigeres und flexibleres gibt als den unverbildeten kindlichen Geist: keine Hemmungen, etwas anzunehmen, kein Zweifel. Warum sollten Kinder auch primär an etwas zweifeln? Das ist die Stärke des kindlichen Zustandes.

Ein Erwachsener hingegen hat in seinem Leben so viele Erfahrungen gesammelt, die sein Weltbild zementieren, dass es vielen älteren Menschen schwerfällt, sich einer so fremden Sprache wie dem Japanischen vorurteilsfrei zu stellen und einfach anzunehmen, was sie da haben. Ich kenne das selbst von mir, aber ich bin sehr froh, mit Japanisch begonnen zu haben. Ich bin dadurch auf wundersame Weise offener geworden für viele Dinge, die sich so ereignen und glaube, dass ein Sprachstudium nicht nur einfach ein "downloaden" einer fremden Sprache ins Bewusstsein ist, sondern auch andere Gehirnareale trainiert und aktiviert und insgesamt auch die Intelligenz steigern kann. Ist jetzt zwar etwas off-topic, aber ich finde diese Thematik äußerst interessant grins .

Erwachsene Lernende müssen jedenfalls systematisch an Japanisch herangehen. Nur vom exzessiven gucken untertitelter Anime hat beispielsweise noch niemand, ausgehend von Null, Japanisch gelernt. Einzelne Worte vielleicht oder kurze Phrasen, ok, aber nicht mehr. Ohne ein Mindestmaß an linguistischer Führung wird kein erwachsener oder jugendlicher Mensch Japanisch lernen können, und zwar so, dass es nach Jahren des Lernens nicht noch immer schwer verständliches Gastarbeiterjapanisch mit hanebüchener Grammatik, Aussprache und Intonation ist.

Das durch Hintergrund- und Erfahrungswissen erworbene Sprachgefühl kann nur im Land selbst erworben werden durch soziale Interaktion mit realen Japanern. Da wird man schnell merken, in welchen Situationen welcher Ausdruck am besten ankommt. Ich glaube, viele Leute denken zunächst, dass das Pauken von Grammatik und Vokabeln ausreicht, um mit Japanern kommunizieren zu können. Das halte ich eher für ein Gerücht, denn um wirklich mit dem anderen zu sprechen, muss man verstehen, wie er denkt. Und bekanntermaßen bestimmt die Sprache, was wir überhaupt denken können. Aber darauf wurde ja schon weiter oben im Thread eingegangen hoho . Linguistik ist schon eine feine Sache.. . Solange mans nicht übertreibt, hehe.

Besonders trendige Marktforscher haben festgestellt, dass die Bezeichnung "Deutschland" als Marke nichts mehr hermacht. Der Vorschlag, es einfach als "Kingdom Hartz IV" eintragen zu lassen, scheiterte an Sony Entertainments Intervention. Die Japaner haben einfach keinen Humor.
27.02.04 23:12
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senn


Beiträge: 6
Beitrag #12
RE: "Linguistischer Ansatz" beim Lernen des Japanischen sinnvoll?
Zitat: Und bekanntermaßen bestimmt die Sprache, was wir überhaupt denken können. Aber darauf wurde ja schon weiter oben im Thread eingegangen
(Wo eigentlich?)
Das denke ich aber nicht. Erst recht nicht, wenn ich mein 10-Monate altes Kind beobachte. Menschen sind ja auch kreativ - Mathematiker haben sich ein tolles formales System ausgedacht, so dass sie auch nicht in Worte fassbare Gedanken vermitteln können. Es gibt Wissenschaftler, die schon seit Jahrzehnten versuchen, das Verhältnis von Sprache und Denken sowie Sprache und Wahrnehmung zu bestimmen.

So besagt z.B. die Sapir-Whorf-Hypothese in ihrer stärksten Auslegung (die heute nicht mehr sehr unterstützt wird), dass wir nur das Denken können, was wir durch unsere Sprache ausdrücken können und die Welt so betrachten, wie es uns durch unsere sprachlichen Konzepte und Kategorien vorgegeben ist. Untersucht wird dann sprachübergreifend - unterschiedliche, z.T. fehlende Möglichkeiten Zeiten auszudrücken, verschiedene Begriffe für Farben usw. Fürs Japanische wird als Beispiel auch "mizu" und "o-yuu" herangezogen.
Als ironisch würde ich den Versuch der Kunstsprache "LogLan" (a logical language) bezeichnen. Entwickelt werden soll eine vollkommen eindeutige natürlich zu benutzende Sprache, um die Sapir-Whorf-Hypothese zu untersuchen. Ich halte es jedoch für fraglich, dass es möglich ist, mit den Grenzen, die im Fall der Richtigkeit der Hypothese schon die eigene Sprache auferlegt, eine Sprache zu entwickeln, die mehr ausdrücken soll, als mit den eigenen Gedanken möglich ist.
04.03.04 11:07
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Arufuredo


Beiträge: 77
Beitrag #13
RE: "Linguistischer Ansatz" beim Lernen des Japanischen sinnvoll?
@senn
Zitat: Mathematiker haben sich ein tolles formales System ausgedacht, so dass sie auch nicht in Worte fassbare Gedanken vermitteln können

Ich habe den Eindruck, Du meintest in diesem Fall mit Gedanken sowas wie abstrakte Konzepte. Gedanken sind meineserachtens erst dann Gedanken, wenn es eine sprachliche Entsprechung für sie gibt. Das heißt, ich muss das, was mir im Kopf herumgeistert, anderen mitteilen können auf eine Weise, die auch andere Menschen außer mir verstehen können.

Du erwähnst Dein 10 Monate altes Kind. Allerdings sollte man Absicht nicht mit Denken verwechseln. Ein Kind hat natürlich seinen eigenen Kopf und macht, was es will. Aber da findet noch kein Denken im klassischen Sinne statt. Sobald ein Kind Sprache erwirbt, beginnt das Denken, denn die Sprache gibt dem, was das Kind will, eine Form. Ein Kind ohne Sprache versucht einfach zunächst, auf seine Weise schlau aus der rätselhaften Welt mit ihren Farben und Formen zu werden.

Da die Sprache die Form dessen vorgibt, was als gewollt ausgedrückt werden kann, setzt die Sprache auch gewisse Grenzen dessen, was man ausdrücken kann. Deshalb finde ich es nur natürlich, dass man aus Bequemlichkeit einfach nur das denkt, was mit der Sprache ohne große Verrenkungen möglich ist (Alltagssprache). Ich glaube, das ist auch das Problem, wenn man beginnt, große Philosophen zu lesen, weil diese Menschen die Grenzen (oder die Komplexität) des bisher gedachten Überschreiten. Ich fand es damals in der Schule teils sehr anstrengend, seitenlange Sätze und Zusammenhänge aus der Philosophie zu verstehen, weil meine Denkfähigkeit eher alltagsgeprägt war.

Zitat: Als ironisch würde ich den Versuch der Kunstsprache "LogLan" (a logical language) bezeichnen. Entwickelt werden soll eine vollkommen eindeutige natürlich zu benutzende Sprache, um die Sapir-Whorf-Hypothese zu untersuchen. Ich halte es jedoch für fraglich, dass es möglich ist, mit den Grenzen, die im Fall der Richtigkeit der Hypothese schon die eigene Sprache auferlegt, eine Sprache zu entwickeln, die mehr ausdrücken soll, als mit den eigenen Gedanken möglich ist.

Vor allem, was soll das bringen, mehr ausdrücken zu können, als die eigenen Gedanken gestatten? Was ist, wenn ich damit zusätzlich zum Gewünschten vielleicht etwas ausdrücke, das ich gar nicht beabsichtigt hatte? Wie beim Bäcker (sinngemäß): "Geben Sie mir 3 Brötchen und das, was Herr Mayer heute bei Ihnen gekauft hat". In dem Beispiel ist Herr Mayer jemand, der außerhalb meiner Gedanken als eigenständiges Wesen seinen Gedanken nachgeht. Damit drücke ich also aus, dass ich etwas haben möchte, was jenseits meiner eigenen Gedanken liegt. Aber was ist, wenn mir das alles nicht schmeckt, was Herr Mayer kauft? Dann habe ich zwar die Möglichkeit, etwas zu bestellen, ohne konkret einen Gedanken an den Inhalt zu verschwenden. Doch das alles hätte mit mir und meinen Absichten auch nichts zu tun. Deswegen finde ich diesen Ansatz prinzipiell irgendwo albern.

Vielmehr fällt mir da eine Parallele zu relationalen Datenbanken aus der Informatik auf. Dort kann man anonyme Querverweise und vieles mehr in Datenbanken setzen. Im realen Leben haut das aber in der zwischenmenschlichen Kommunikation nicht hin und läuft dem Zweck der Sprache, Ordnung und Klarheit zu schaffen, zuwider.

Besonders trendige Marktforscher haben festgestellt, dass die Bezeichnung "Deutschland" als Marke nichts mehr hermacht. Der Vorschlag, es einfach als "Kingdom Hartz IV" eintragen zu lassen, scheiterte an Sony Entertainments Intervention. Die Japaner haben einfach keinen Humor.
05.03.04 18:15
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"Linguistischer Ansatz" beim Lernen des Japanischen sinnvoll?
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